Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern

Ziel ist es, möglichst vielen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unabhängig von beispielsweise Herkunft oder Geschlecht, sowohl eine gute Schulbildung als auch eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Dazu sollen mehr Schulen gebaut, mehr Lehrer:innen ausgebildet und Hürden für benachteiligte Bevölkerungsgruppen beseitigt werden. Auch sollen nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte und Weltbürgerschaft über Bildung gefördert und mehr Stipendien für den Besuch einer Universität insbesondere jenen zur Verfügung gestellt werden, die sie global gesehen besonders brauchen. 

Bildung und Qualifikation sollen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Außerdem ist es ein erklärtes Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. 

Schulen wollen Bildungsräume öffnen, durch die Schüler:innen befähigt werden, in ihrem eigenen Sinne in der Welt zu wirken (vgl. Biesta 2022). Waldorfschulen streben an, ihren Schüler:innen eine Begegnung mit der Welt und mit sich selbst in dieser Welt zu ermöglichen, in Resonanz zu treten. Was braucht, was fordert die Welt heute von ihnen?  
Kinder und Jugendliche sind von den Problemen der Zeit besonders betroffen. Auch unter der Corona-Pandemie haben sie mit am meisten gelitten (vgl. IMA 2023). Sich des Lebens mit allen Sinnen, in Gemeinschaft und mit Freund:innen zu freuen, muss auch heute Teil einer ganzheitlichen Bildung sein.

 

So kann es dann auch möglich werden, sich mit zunehmendem Alter in anspruchsvollerem Maße den Problemen mündig, in weltbürgerlicher Zeitzeugenschaft und in Kenntnis gesellschaftlicher Existenzbedingungen zu stellen und hierfür wichtige Fähigkeiten, wie etwa kooperatives und vorausschauendes Handeln, auszubilden. 

Im Zusammenhang mit dem Nachhaltigkeitsziel 4 können aus der Sicht der Waldorfpädagogik eine Reihe von pädagogischen Charakteristika genannt werden:  

 Lebenslanges Lernen 

Die Waldorfpädagogik geht davon aus, dass nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern dass der Mensch ganz prinzipiell ein sich entwickelndes Wesen ist. Insofern sind wir als Menschen aufgerufen, weiter zu lernen, weiter an unseren Stärken und auch an unseren Schwächen zu arbeiten, um uns weiterzuentwickeln, und zwar unser ganzes Leben lang. Lebenslanges Lernen bedeutet daher für die Schulbildung, dass alle Themen auf Vertiefungs- und Erweiterungsbereiche angelegt werden. Und dass Kinder und Jugendliche ihre Lern- und Entwicklungsfreude in der Schule nicht verlieren. 

 Altersgemäßes Lernen  

Eine weitere wichtige Säule der Waldorfpädagogik stellt das altersgemäße Lernen dar. Eine grundsätzliche Orientierung können hierbei die drei großen Entwicklungsschritte von der Geburt bis etwa 21 Jahre und ihren Prinzipen geben:  

  • Dem Zeitraum von der Geburt bis etwa zum siebten Jahr wird das Prinzip „die Welt ist gut“ zugeordnet: Lernen geschieht vor allem durch Handeln. In einer „guten“ Welt fühlen sich die Kinder wohl und gehen tätig auf die Welt zu.
  • Dem Zeitraum von etwa 7 bis 14 Jahren wird das Prinzip „die Welt ist schön“ zugeordnet: Beim Lernen spielen das Gefühl und das Sich-Verbinden mit der Welt eine entscheidende Rolle. Wo die Welt heute nicht schön ist, kann in einer handlungsorientierten Bildung exemplarisch erfahren werden, wie man gemeinsam die Welt schöner mitgestalten kann (vgl. Schulze 2021). 
  • Dem Zeitraum von etwa 14 bis 21 Jahren wird das Prinzip „die Welt ist wahr“ zugeordnet. Nun geht es darum, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich ein umfassendes Verständnis der unterschiedlichen Fachgebiete zu erarbeiten. Dabei spielen die Urteilsfähigkeit und die Ausbildung eines gesunden Menschenverstands sowie das eigene Ergreifen von Handlungsspielräumen zentrale Rollen.  

Weiterhin wird in sogenannten Epochen unterrichtet: Jeden Tag in der Woche (drei bis vier Wochen lang) beschäftigt sich die Klasse mit einem Thema. Dieses Thema steht in diesem Zeitraum im Mittelpunkt des Lernens und Arbeitens, auch fächerübergreifend. 

 Ganzheitliches Lernen 

Hier können zwei Gesichtspunkte unterschieden werden: ein anthropologischer und ein inhaltlicher Aspekt:  

Anthropologische Gesichtspunkte 

Hier kann die Formel Lernen mit Kopf, Herz und Hand genannt werden. 

Das bedeutet, dass nicht nur eine Wissensvermittlung in der Schule angestrebt wird. Ebenso entscheidend ist die Schulung von Handlungskompetenz und die Ausbildung einer emotionalen Verbindungsfähigkeit mit sich und der Welt. Die Schüler:innen sollen mit dem Herzen dabei sein und Lernfähigkeit und Lernfreude entwickeln dürfen. 

 

Inhaltliche Gesichtspunkte 

Ein großes Ziel der Waldorfpädagogik ist es, nicht nur Themen und Inhalte isoliert voneinander zu betrachten und zu verstehen, sondern in ihrem Gesamtzusammenhang.  

Diese Herangehensweise ist auch methodisch gesehen von Bedeutung. So wird beispielsweise schon ab der ersten Klasse daran geübt, eine Rechenaufgabe von verschiedenen Seiten aus und in diesem Sinne ganzheitlich zu verstehen: 

5 + 7 = ? 

5 + ? = 12 

? + 7 = 12 

 

Erziehung zur Freiheit  

Um einen Sachverhalt tiefgründig und multiperspektivisch zu verstehen und sich zu diesem als Subjekt in Beziehung setzen zu können, sind beispielsweise folgende vier herauszubildende Urteilsstufen zu nennen, die während der Klassen 9 bis 12 Teil der Waldorfpädagogik sind: 

  • 9. Klasse: Fähigkeitsbildung in Bezug auf ein kausales Verständnis der Welt. 
  • 10. Klasse: Verstehen von Kreisläufen und Lebensvorgängen.
  • 11. Klasse: Beschäftigung mit einer Verantwortungslogik. Was sind Ziele der Menschen und welche Folgen entstehen daraus.
  • 12. Klasse: Verstehen von netzwerkartigen Strukturen und von interdependenten Vorgängen. 

 

Durch ein eigenständiges und gemeinsames Handeln, beispielsweise in Gruppen mit Freunden in Projekten, können Schüler:innen Gesellschaft selbst mitgestalten und die für eine gelingende Demokratie wichtigen Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Mit einer Bildung für sozial-ökologischen Wandel, derzeit mancherorts in Entstehung, eröffnen sich für Schüler:innen wie Schulgemeinschaften Möglichkeiten eines sense-oriented coping (vgl. Ojala 2016) angesichts der existenziellen Probleme der Zeit.  

Klasse 1 bis 4 Lernen durch Handeln und Tätigsein: Malen, Zeichnen, Singen, Theater spielen, Bewegung und Tanz (Eurythmie). Stricken, Häkeln, mit Stoff umgehen lernen. Eventuell ein kleiner Schulbauernhof: Umgang mit Tieren und der Natur 
Klasse 5 bis 8 Lernen durch das Sich-Verbinden mit der Welt: Malen, Zeichnen, Singen, Theater spielen, Bewegung und Tanz (Eurythmie). Werken, Umgang mit Holz. Gartenbau: Umgang mit Boden und Pflanzen. Forstpraktikum: Umgang mit der Natur 
Klasse 9 bis 12 

Den Dingen auf den Grund gehen: Erweiterung der künstlerisch-handwerklichen und musischen Fächer um Bildhauerei, plastisches Gestalten, Architektur und Design, Schreinern, Schmieden und Metall, Buchbinden, Textilverarbeitung, Schneidern eines Kleidungsstückes.  

Durchführung von Berufspraktika in den Bereichen Landwirtschaft, Handwerk und Industrie, Vermessungstechnik. Praktikum im sozialen Berufsfeld. 

Gesellschaft selbstbestimmt in Projekten mitgestalten. Damit soll ein kausales Verstehen der Welt ermöglicht werden; ein Verständnis von Kreisläufen und Lebensvorgängen. Angeregt wird die Auseinandersetzung mit Verantwortung und den Folgen menschlicher Handlungen sowie das Verstehen von Gesamtzusammenhängen und den großen Fragen der Menschheit (Interdependenz-Logik und netzwerkartige Zusammenhänge). Globales Lernen und kritische politische Bildung werden angestrebt. 

Schulen spielen als Orte der Zusammenkunft heute eine besondere Rolle. Hier kann es gelingen, wieder mehr Zusammenhalt, Chancengleichheit und kosmopolitisches Miteinander herzustellen. Ein demokratisches und weltenbürgerliches Miteinander nimmt an Kitas und Schulen seinen Anfang.
                                           

Natürlich gibt es an Schulen Notwendigkeiten und Begrenzungen. Aber sie bieten uns auch eine zukunftsermöglichende Chance, gemeinsam mit örtlichen und regionalen Akteuren zukunftsfähige Lebens- und Arbeitsweisen zu entwickeln und zu erüben. 

Schulen sind Orte, in denen für die Gesellschaft gelernt werden kann, in denen Schüler:innen aber auch selbstbestimmt handeln können. 

 Um den Schüler:innen eine fundierte und nachhaltige Bildung zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass alle mit einem Abschluss die Schule verlassen können, sind bestimmte Rahmenbedingungen nötig. Dazu gehört beispielsweise das Aufgehobensein in einer Klassengemeinschaft und eine Lernumgebung, die allen jungen Menschen mit unterschiedlichen Begabungen Lernen ermöglicht. 

 Klassenverband und eine Schulzeit von der 1. bis zur 12. Klasse 

Ziel der Waldorfpädagogik ist es, dass eine Klasse, die in der ersten Klasse entsteht, bis zum Ende der Schulzeit zusammenbleibt. So entsteht ein fester Klassenverband und so sind die Voraussetzungen gegeben, um sich gegenseitig kennen- und akzeptieren zu lernen, sich gegenseitig zu verstehen. Dadurch wird den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben, sich in einer Gemeinschaft aufgenommen und beheimatet zu fühlen als ideale Voraussetzung für das Üben von sozialen Fähigkeiten. 

 Lernen mit Kopf, Herz und Hand 

Um den Schülern die Gelegenheit zu geben, sich „ganzheitlich“ zu bilden, werden neben den klassischen Lernfächern noch eine Vielzahl von künstlerischen und handwerklichen Fächern sowie ein handlungsorientierter Zugang zu verschiedenen Themen und Berufen durch mehrwöchige Praktika ermöglicht. 

Durch diese Fächervielfalt unterscheidet sich die Zusammensetzung des Kollegiums von einer gewöhnlichen Schule. Neben „klassischen Lehrern“ finden sich Künstler:innen und Handwerker:innen. 

Das handwerkliche und künstlerische Profil schlägt sich im Schulhaus nieder, das oft eine Vielzahl von Werkstätten und Ateliers aufweist. 

Die Waldorfschulen sind in einem Netz aus vielen Institutionen wie Hochschulen und Forschungsinstituten verbunden. Hier sind beispielsweise zu nennen: 

Freie Hochschule Stuttgart. Alanus Hochschule mit den Standorten Alfter, Mannheim und Witten. Lehrerseminare in Hamburg, Berlin und Kiel sowie mehr als 20 berufsbegleitende Seminare. 

Wünschenswert ist zudem eine weitere Vernetzung in die örtlichen und regionalen Nachbarschaften. So können Schulen zu Orten werden, in denen die Gesellschaft sich gemeinsam den Zumutungen und Chancen von sozialem und ökologischem Wandel stellen kann und hier im gemeinsamen Erproben über sich hinauswächst. 

Das Leuchtturm-Projekt
zu diesem Ziel

BNE-Konzept (FWS Trier)

Seit 2020 setzt die „Grüne Zukunft“ Themen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit an der FWS Trier auf die Agenda. Seit Beginn setzt sich die Gruppe leidenschaftlich dafür ein, Bildung für sozial-ökologischen Wandel an der Schule zu verankern.

 

Der Aufbruch begann mit dem Bestreben, die BNE-(Bildung für nachhaltige Entwicklung)-Zertifizierung beim pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz zu erhalten. Dies war der Auslöser für ein umfassendes Projekt: die systematische Entwicklung eines BNE-Konzepts. Mit dem größeren Ziel, dieses Konzept in den schulinternen Lehrplan zu integrieren. In einer Umfrage unter den Pädagog:innen wurden die bereits verankerten Nachhaltigkeitsthemen in den unterschiedlichen Klassenstufen und Fächern erfasst. Zwei Workshops im September 2021 und April 2022 für Pädagog:innen sowie eine Weiterbildung für Lehrkräfte zum „BNE-Basis-Modul“ im März 2022 bildeten das Herzstück der Konzeptentwicklung. Ein Gesamtkonferenzbeschluss im Februar 2022 bekräftigte, dass alle BNE-Dimensionen in Unterricht und Projekten angemessen berücksichtigt werden sollen. Im Mai 2022 wurde die Arbeit mit der Silberauszeichnung der BNE-Zertifizierung belohnt.

 

Das entstandene BNE-Konzept ermöglicht eine umfassende Einbindung der Schüler:innen in die verschiedenen Aspekte des nachhaltigen Wandels. Es integriert nicht nur die entsprechenden Themen in den Fachunterricht, sondern bezieht ebenso projektbasierte Lernmethoden und extracurriculare Aktivitäten mit ein. Eine Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler sowie für alle Menschen der Schulgemeinschaft der FWS Trier, nachhaltigen Wandel mitzugestalten, besteht natürlich in der Mitwirkung bei der „Grünen Zukunft“.

 

Die Konzeptumsetzung befindet sich im Schuljahr 2023/24 in der Pilotphase, in der in jedem Fach und für jede Altersstufe eine BNE-Unterrichtseinheit erprobt und dokumentiert wird. Eine Rezertifizierung – mit dem angestrebten Ergebnis einer Goldauszeichnung – steht ebenfalls bevor. Es stellt immer wieder eine Herausforderung dar, das Projekt neben der alltäglichen Arbeit voranzutreiben. Doch die Motivation ist ungebremst und wird durch viele Kooperationen gestärkt.